Der griechische Premierminister Alexis Tsipras hat am Abend des 22. Juni 2018 eine Krawatte um seinen Hals gebunden. Für Insider der Euro-Krise bedeutet dies, dass die griechische Staatsfinanzkrise vorbei ist – oder zumindest, dass Tsipras dies so sieht. Denn der griechische Premier hatte auf dem Höhepunkt der Krise im Jahr 2015 sowohl dem damaligen italienischen Premier Matteo Renzi als auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker versprochen, direkt nach dem Ende der griechischen Staatsfinanzkrise eine Krawatte anzulegen. Damit wich Tsipras der freundlichen Aufforderung beider aus, sich an die Bekleidungskonventionen der EU-Politiker zu halten.

Die von Brüssel und Athen gefeierte „historische“ Beendigung der griechischen Eurokrise könnte humorvoll betrachtet unter dem Titel „Liebling, ich habe auch unsere Urenkel in die Insolvenz getrieben“ zusammengefasst werden. Die blanken Zahlen der wirtschaftlichen Realität in Griechenland lassen kaum einen anderen Schluss zu.

Die nackten Zahlen

Die Staatschuldenquote beträgt 180 Prozent. Mehr als fünf Millionen Hellenen leben mit weniger als 382 Euro pro Monat. Die griechischen Steuerzahler schulden dem Staat mehr als 100 Milliarden Euro, wobei die Nichtbegleichung der Steuerschuld überwiegend einer Zahlungsunfähigkeit zuzuschreiben ist. 230.774 Kinder leben in Familien, in denen beide Elternteile arbeitslos sind.

Knapp 40 Prozent der Kinder leben – gemäß den statistischen Regeln der Europäischen Union in Armut und sozialer Ausgrenzung. Knapp 400.000 gut qualifizierte, überwiegend studierte Griechen haben ihr Land verlassen, um im Ausland einen Job zu finden. Die Arbeitslosenstatistik weist immer noch eine Quote von über zwanzig Prozent auf. Dieses Land ist also, glaubt man dem Communiqué der Eurogruppe vom 21./22.Juni „gerettet“.

Festakt ohne Volk

Die Regierung in Athen zelebrierte die „Rettung“ mit einem Festakt. Tsipras sprach im Zappeion Kongresszentrum vor den Fraktionen von SYRIZA und den Unabhängigen Griechen. Dazu eingeladen waren auch Angehörige und Freunde der Politiker. Das gemeine Volk musste außen vor bleiben. Anders als noch beim Referendum von 2015 schottete sich die Regierung nun ab.

Damals hatte Tsipras über den Sparkurs abstimmen lassen. Die Mehrheit der Wähler hatte eine Fortsetzung abgelehnt und feierte nach der Verkündung des Ergebnisses. Tsipras, der sich vorher als Gegner des Sparkurses gegeben hatte, bekam Angst und schwenkte um. Seine damalige Wende hatte er mit einem Verweis auf einen in Aussicht gestellten, großzügigen Schuldenschnitt der Kreditgeber nach Abschluss des von ihm unterzeichneten, dritten Rettungspakets begründet.

Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?

Das, was Tsipras nun in Athen als historischen Erfolg feiert, nämlich die Stundung der Rückzahlung eines Teils der Kredite, derjenigen des ESFS (siehe nachfolgende Tabelle), ist im Endeffekt alles andere als großzügig. Die Konsequenz Tsipras, sich vor den Wählern zu verstecken ist logisch.

Vor knapp einer Woche hatte er gegenüber der Zeitung Die Welt das Referendum als Fehler bezeichnet. Eine ähnliche, wie die nun ausgehandelte Schuldenregelung, damals für die Regierung von Antonis Samaras bezeichnete Tsipras seinerzeit als „eine Verlängerung des Galgenstricks“.

Die damaligen Äußerungen finden sich auch heute noch online in den Zeitungsarchiven. Von der Internetpräsenz Tsipras‘ Partei, SYRIZA, sind sie verschwunden. Wer in internationalen Zeitungsarchiven sucht, wird entdecken, dass die damalige Schuldenregelung einen Quotienten von Staatsverschuldung zu Bruttoinlandsprodukt von weniger als 110 Prozent für 2022 anstrebte. Dies war vielen Kritikern seinerzeit zu wenig. Die Schulden seien nicht tragfähig hieß es.

Heute gilt als Ziel für 2018 eine Schuldenquote von 177,8 Prozent. Die 110 Prozent, welche dem Wert von 2008 vor dem Ausbruch der Krise entsprechen, sind unendlich weit entfernt und selbst mit der neuen Regelung keineswegs erreichbar.

Das hat bisher noch kein Staat geschafft…

Damit die kontrollierte Insolvenzverschleppung Griechenlands jedoch weiter in Gang bleiben kann, haben die Eurogruppen-Politiker beschlossen, Hellas an eine noch kürzere Leine zu legen. Rentenkürzungen und Steuererhöhungen gehören selbstverständlich weiterhin zum Repertoire.

Darüber hinaus muss Griechenland bis 2022 Primärüberschüsse des Staatshaushalts von mindestens 3,5 Prozent liefern. Danach sind bis 2060(!) Überschüsse der Größenordnung von 2,2 Prozent fällig. Bislang hat noch kein Staatshaushalt der Welt solche Werte über eine solch lange Periode liefern können.

Des Weiteren muss die griechische Regierung nun Quartalsweise gegenüber der Troika Rechenschaft ablegen. Wenn die Troika etwas moniert, muss die Regierung mit entsprechenden Gesetzen „Reformen“, sprich Kürzungen, liefern. Ansonsten drohen über Zinsanhebungen der Kredite Sanktionen. Diese Sanktionen dürften zahlreiche Investoren abschrecken, können sie dem Staatshaushalt doch innerhalb kürzester Zeit den Zugang zu den internationalen Finanzmärkten rauben.

Vom Fegefeuer in die Hölle

Die Griechen, welche die Sparmemoranden oft in Anspielung auf westliche Religionsphilosophien als Fegefeuer bezeichneten sind damit endgültig in der Hölle gelandet. So gesehen ist die Entscheidung der Eurogruppe vom vergangenen Donnerstag tatsächlich ein Abschluss. Kaum jemand, der vor der Krise wirtschaftlich aktiv war, dürfte das Ende der bis 2060 geplanten Zwangsjacke für Griechenland erleben.

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